«Die Nachfolge kann sich zur emotionalen Herausforderung entwickeln»
Es gibt bereits zahlreiche Studien zur Unternehmensübergabe. Warum hat Raiffeisen jetzt eine eigene Nachfolgestudie in Auftrag geben?
Christian Sonderegger: Um eine Lücke zu schliessen. Es gibt sehr viele Studien, die den Prozess der Unternehmensübergabe abbilden, Zahlen und Fakten zu Familiennachfolge, Management-Buy-Out oder externem Verkauf liefern. Das bringt Unternehmer aber nicht unbedingt weiter. Eine Studie, welche die auch weniger greifbare Themen wie persönliche Unsicherheiten oder Überforderung ins Zentrum rückt, gab es bisher nicht. Übermässige Emotionen gehören in der Unternehmerwelt nach wie vor zu den eher schwierigen Themen, die man gerne ignoriert.
Thomas Zimmermann: Genau. Fragen wie «Wie spreche ich meine Familie an?», «Was mache ich nach der Übergabe?» oder «Wie löse ich Konflikte mit einem potenziellen Nachfolger?» sucht man in anderen Studien vergeblich. Dort steht in der Regel die technisch-rationale Seite im Vordergrund. bisher nicht. Übermässige Emotionen gehören in der Unternehmerwelt nach wie vor zu den eher schwierigen Themen, die man gerne ignoriert.
An wen richtet sich die Studie?
Christian Sonderegger: Die Studie richtet sich primär an Unternehmer, die sich in nächster Zeit mit dem Thema Nachfolge auseinandersetzen. Ich hoffe, dass sie dank der Studie schon früh erkennen, dass nicht nur Verträge, finanzielle und rechtliche Fragen auf sie zukommen werden, sondern auch persönliche und zwischenmenschliche Themen, die eine enorme Sprengkraft besitzen und den Prozess ganz schön lähmen können. Sie ist aber sicher auch hilfreich für Unternehmer, die bereits mitten im Prozess stecken.
Thomas Zimmermann: Leider gibt es immer wieder Unternehmer, die erst nach drei oder vier gescheiterten Übergabeversuchen zur Erkenntnis kommen, dass sie Unterstützung brauchen und dann nach Beratung suchen. Die Studie kann sicher dazu beitragen, dass sich Unternehmer frühzeitig Unterstützung im Prozess holen.
Unterstützung beiziehen – ist das eine der Kernbotschaften der Studie?
Thomas Zimmermann: Ja. Für den «technischen» Teil der Nachfolge setzen Unternehmer automatisch Spezialisten ein: Treuhänder, Juristen, Marketingfachleute, Vorsorgeexperten. Der emotionale Prozess ist herausfordernder, als es auf den ersten Blick scheint! Gerade hinsichtlich zwischenmenschlicher und persönlicher Themen – Besprechungen mit der Familie, den Mitarbeitenden, dem Käufer – kann der externe Begleiter den Nachfolgeprozess in die richtige Richtung steuern.
Was bringt die Studie für die Praxis, beispielsweise für die RUZ Unternehmergespräche?
Thomas Zimmermann: Die Studie bringt schon jetzt sehr viel. Wir wollen Unternehmer so früh wie möglich auf die Realität der Nachfolge vorbereiten. Die Nachfolge kann sich zum emotionalen Strudel entwickeln. Und wenn man erst einmal drinsteckt, ist es schwierig, alleine wieder die Orientierung zu finden. Mit dieser Studie können wir zu Beginn des Nachfolgeprozesses einfach aufzeigen, dass die meisten Unternehmer mit Gefühlen von Überforderung zu kämpfen hatten und dies ganz normal ist.
Unternehmer lernen also lieber von anderen Unternehmern?
Thomas Zimmermann: Ja, das ist so. Unternehmer legen viel Wert auf Erfahrungsberichte anderer Unternehmer. Das ist auch die Stärke dieser Studie: Es sind ehrliche, direkte und ungeschminkte Aussagen, in denen sich Unternehmer wiedererkennen.
Christian Sonderegger: Das war mir ein wichtiges Anliegen. Die Unternehmer sollen sich abgeholt fühlen und wissen: Sie stehen mit ihren Erlebnissen nicht alleine da, anderen Unternehmern ging es genau gleich. Und die Studie soll vermitteln, dass es auch uns als Bank nicht nur um Zahlen und Fakten geht, sondern um den Menschen.
Was hat Sie an den Resultaten überrascht?
Christian Sonderegger: Mich hat schon überrascht, wie lange Unternehmer versuchen, den Nachfolgeprozess rational anzugehen, ihre Beweggründe zu erklären, ihr Verhalten mit Argumenten zu stützen. In den Gesprächen hat sich gezeigt, dass sie erst spät merken, wie stark die Emotionen bereits unter der Oberfläche köcheln. Sobald man aber den einen «wunden Punkt» erwischt, brechen diese regelrecht hervor.
Thomas Zimmermann: Ich setze mich ja tagtäglich mit Nachfolge auseinander. Deshalb gab es diesen Überraschungsmoment für mich nicht. Die Studie bildet vielmehr eins zu eins ab, was wir tagtäglich im RUZ erleben. Jeder unserer Begleiter kann zahllose Beispiele aus der Praxis nennen, in denen das genauso ist.
Wie erklären Sie sich das?
Thomas Zimmermann: Es ist wohl Teil der Unternehmerpersönlichkeit: Unternehmer müssen stark sein, Vertrauen ausstrahlen, stets wissen, was zu tun ist. Sie sehen auch den Übergabeprozess als eine Aufgabe, die sie alleine meistern können. Das stellt sich aber oftmals als falsch heraus. Und wenn eine Übergabe scheitert, dann hat das fast nie mit Verträgen und Finanzen, dafür aber fast immer mit Emotionen zu tun. Es ist wichtig, dieses Tabuthema aufzubrechen und zu vermitteln: Emotionen werden aufkommen und es ist gut, sie zuzulassen.
Christian Sonderegger: Gerade für gestandene Unternehmer mit all ihren Kompetenzen und Erfahrungen ist es ungewohnt und unangenehm, etwas nicht zu können – auch wenn es um Persönliches geht. Ich habe aus den Gesprächen immer wieder herausgespürt: «Das sollte ja nicht so schwer sein, aber ich bin trotzdem überfordert damit.»
Erfahren Sie mehr zur Raiffeisen Nachfolgestudie
Quelle: Bhend, Bettina: Die Nachfolge kann sich zur emotionalen Heruasforderung entwickeln, in: Savoir Faire (2/2020), S. 12-13.
Thomas Zimmermann ist ehemaliger Metallbau-Unternehmer, hat seinen Betrieb vor mehreren Jahren erfolgreich übergeben und leitet heute das Raiffeisen Unternehmerzentrum Aarau-West – mit Schwerpunkt im Bereich der Unternehmensnachfolge.
Christian Sonderegger hat die Nachfolgestudie in Auftrag gegeben und begleitet. Er ist Projektleiter Marktforschung bei Raiffeisen mit Schwerpunkt in den Bereichen Firmenkunden und Durchführung von qualitativen Studien.